2009

Preisträger des Jahres 2009

1. Preis: Dr. Tim Engartner

Köln, wiss. Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftswissenschaft, Bildungsökonomie und Ökonomische Bildung der Universität zu Köln
für
Die Privatisierung der Deutschen Bahn. Über die Implementierung marktorientierter Verkehrspolitik.

Gutachter: Prof. Dr. Christoph Butterwegge (Köln)
Gutachter: Prof. Dr. Bernd O. Weitz (Köln)

Die Arbeit Tim Engartners ist von hoher tagesaktueller und gesellschaftspolitischer Brisanz. Herr Engartner übt in seiner Doktorarbeit, die durch eine in sich logische Gliederung, eine stringente Gedankenführung und sprachliche Eleganz besticht, Kritik an der Privatisierung der DB AG, indem er unter Bezugnahme auf die Entwicklung des britischen Bahnwesens verkehrs-, umwelt-, sozial- und wirtschaftspolitische, aber auch historische Argumente für eine stärkere Verankerung staatlicher Regulationsmechanismen anführt. Herrn Engartners differenzierte Auseinandersetzung mit verschiedenen Privatisierungsmodellen zeugt von seinem ausgeprägten Interesse an theoretischen Fragestellungen und von seiner hervorragenden Befähigung zur politik- bzw. sozialwissenschaftlichen Analyse. Dabei beschränkt er sich jedoch keineswegs auf öffentliche (Fach)Debatten, sondern verknüpft diese systematisch mit empirischem Anschauungsmaterial zur Privatisierung des britischen und deutschen Bahnwesens. Die 2008 mit "summa cum laude" verteidigte Dissertation von Herrn Engartner, die im gleichen Jahr im Druck erschien, wurde durch ein Promotionsstipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin gefördert.

2. Preis: Dr. Christoph Jünke

Bochum, seit 01/2007 freiberuflicher Historiker und Publizist (selbständig)
für seine Arbeiten
"Sozialistisches Strandgut. Leo Kofler - Leben und Werk (1907-1995)"
und "Der lange Schatten des Stalinismus. Sozialismus und Demokratie gestern und heute"

Gutachter: : Prof. Dr. Günter Brakelmann (Bochum)

Die hier vorgelegte Studie über Leben und Werk Leo Koflers ist eine Intellektuellen-Biografie. Orientiert am Lebensweg Koflers verfolgt sie dessen politische und wissenschaftliche Entwicklung. In sieben großen Kapiteln entfaltet sie ein eindruckvolles Panorama eines originären Denkers, der sich als eigenständiger undogmatischer marxistischer Soziologe, Historiker und Philosoph einen Namen gemacht hat. Es entstand das Bild eines Mannes, der in den Wechseln und Wirren seiner Zeit versucht hat, seine Linie als homo politicus wie als homo philosophicus gewissensmäßig und wissenschaftlich durchzuhalten.
Christoph Jünke zeigt, dass die Stalinismuskritik Koflers nach 1950 von zeitgeschichtlich überragender Bedeutung ist. Von ihr her entfaltet Kofler seinen eigenen sozialistischen Humanismus und gewinnt seinen unverwechselbaren anthropologischen Anspruch in einer marxistischen Philosophie.
In seiner Aufsatzsammlung "Der lange Schatten des Stalinismus", die in der aktuellen Debatte bereits bemerkenswerte Resonanz fand, knüpft Jünke genau an diesem Punkt an. Er legt einen Beitrag zur historischen Aufarbeitung des Stalinismus vor, der in der Kritik philo- und neostalinistischer Tendenzen eine politisch-strategische Intervention in die Diskussionen um eine erneuerte sozialistische Linke und einen Beitrag zur sozialistischen Demokratietheorie darstellt.

2. Preis: Dr. Andreas Diers

Bremen, freiberuflich wissenschaftlich tätig
für
Wolfgang Abendroth 1906 bis 1948 - Weimarer Republik, Faschismus, SBZ

Gutachter: Prof. Dr. Gerhard Stuby (Bremen)
Gutachter: Prof. Dr. Lothar Peter (Bremen)

Wolfgang Abendroth gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten der westdeutschen Linken. Durch seine frühe Berufung nach Leipzig steht er auch in der Leipziger Tradition der Gelehrten um Walter Markov, Ernst Bloch, Hans Mayer, Fritz Behrens und Emil Fuchs, denen sich unsere Stiftung eng verbunden fühlt. Andreas Diers legt mit seiner umfangreichen Arbeit, mit der er in Bremen mit "summa cum laude" promoviert wurde, eine politische Biographie vor, die bis 1948 reicht. Er versteht darunter nicht die lediglich erzählende Biographie, sondern bezieht den sozialhistorischen Kontext ein, in dem diese Persönlichkeit sozialisiert wurde. Er realisiert das im Falle Abendroths in der Darstellung des Verhältnisses von Arbeiterbewegung, Demokratie und Staat, und in diesem Kontext vor allem an seiner Rechts- bzw. Verfassungstheorie als Kernsubstanz seiner politischen Theorie.

3. Preis: Jana Hoffmann

Chemnitz, Promovendin
für
Zur Theorie der sozialen Gerechtigkeit bei Nancy Fraser im Kontext moderner Gerechtigkeitstheorien

Gutachter: Prof. Dr. Alfons Söllner
Gutachter: PD Dr. Thomas Rolf

Die Arbeit diskutiert die Gerechtigkeitskonzeption einer jüngeren amerikanischen Politikwissenschaftlerin und stellt sie in den Kontext der neueren Debatten, wie sie in Deutschland und in den USA im Anschluss an die Philosophie von John Rawls geführt wurden. Dabei wird der Horizont politischen Denkens als postsozialistisch bezeichnet.
J. H. möchte die postsozialistische Situation kritisch betrachten, dabei aber kein "endgültiges negatives Verdikt über die Relevanz und Machbarkeit sozialistischer Ideale" abgeben. Zentrale Fragen der Arbeit lauten: Wie ist die Theorie der sozialen Gerechtigkeit bei Nancy Fraser beschaffen? Ist es ihr tatsächlich möglich im Spannungsfeld zwischen Anerkennung und Umverteilung einen für alle Seiten befriedigenden Mittelweg zu finden?
Die Autorin diskutiert diese Fragen auf dem Hintergrund der Theorieentwicklung. Dabei wird die marxistische Traditionslinie hinreichend berücksichtigt. Die Alternative zwischen Umverteilung und Anerkennung, die in der Gerechtigkeitsdebatte zentralen Raum hat, wird von J. H. als komplexes Problem gut konturiert und in verständlicher Sprache diskutiert.

3. Preis: Ralf Hoffrogge

Berlin, Provend
für
Richard Müller - der Mann hinter der Novemberrevolution

Gutachter: Prof. Dr. Wolfgang Wippermann (Berlin)

Mit der biografischen Arbeit von Ralf Hoffrogge, die als überarbeitete Magisterarbeit bei Dietz erschien, liegt die Biographie eines nahezu vergessenen Revolutionärs vor, der wie kaum ein anderer die Novemberrevolution vorantrieb.
"Sisyphus der Revolution" nennt Hoffrogge treffend seinen Helden. Der Vorsitzende des "Vollzugsrates der Arbeiter- und Soldatenräte war 1918 kurzzeitig Staatsoberhaupt der "Deutschen Sozialistischen Republik". Der überzeugte Rätesozialist fand nach der Revolution weder bei der Sozialdemokratie noch bei den sich am bolschewistischen Parteityp ausrichtenden Kommunisten eine angemessene Bewertung.
Die materialreiche methodisch korrekte und gut geschriebene Arbeit schließt eine schmerzliche Lücke.
Die Hoffnung Carl von Ossietzkys von 1932: "Aber nichts ätzt sich dem Gedächtnis so tief ein wie die Gestalten der Revolutionären Obleute" … (die) "aus dem schöpferischen Geist des duldenden und schweigenden Volkes gewachsen zu sein schien(en)", erfüllte sich nicht.
Die sich erneuernde sozialistische Linke hat allen Anlass, sich des Rätesozialismus und seiner Protagonisten zu erinnern.