Nachricht | Geschichte - Rosa-Luxemburg-Stiftung Abschied von einem gelehrten Freund: Dr. Detlef Nakath verstorben

10. November 1949 – 3. Oktober 2021

Information

Mit großer Trauer und tiefem Schmerz beklagen wir den Tod unseres lieben Freundes und hochgeschätzten Kollegen Detlef Nakath. Es ist tragisch, dass nicht einmal zwei Jahre vergingen, seit wir seinen 70. Geburtstag würdigten.

Detlef war ein gebürtiger Berliner und beschritt zunächst den für seine Generation nicht völlig untypischen DDR-Lebensweg: auf das Abitur folgte der Grundwehrdienst, dann das Studium, nämlich der Geschichtswissenschaft und des Völkerrechts an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Titel der 1981 verteidigten Dissertation lautet sehr zeitgemäß «Die Gestaltung der Außenhandelstätigkeit der DDR zur Abwehr des imperialistischen Wirtschaftskrieges der BRD gegen die DDR 1955 bis 1961». Die Promotion B, die in der DDR übliche Habilitation, erweiterte den historischen Untersuchungsgegenstand in Chronologie und Forschungsperspektive («Zur Geschichte der Handelsbeziehungen zwischen der DDR und der BRD in den Jahren zwischen1962 und 1975»).

Nach der «Wende» wurde dem berufenen Hochschuldozenten und demokratisch gewählten stellvertretenden Institutsdirektor Detlef Nakath der Stuhl mit fragwürdiger juristischer Finesse vor die Tür gesetzt. Die demütigende Kündigung beendete für Tausende Wissenschaftler nicht nur abrupt die akademische Laufbahn, sondern bedeutete für viele von ihnen auch das jähe Ende jeglicher Forschungsarbeit.

Im Unterschied zu manchen, die einsam und resigniert verstummten, fand Detlef Nakath gemeinsam mit Freunden den Mut, die Willenskraft und die schöpferische Energie für einen neuen Anfang. Deshalb können wir heute ein opulentes wissenschaftliches Œuvre bewundern, das nach einem Drittmittelintermezzo bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft hauptsächlich unter dem Dach des Stiftungsverbundes der heutigen Partei Die Linke entstanden ist.

So erschien seit 1993 unter seiner maßgeblichen Mitwirkung im «Hausverlag» Karl Dietz Berlin eine siebenbändige Reihe mit Dokumenteneditionen und -kommentaren zur DDR-, SED- und deutsch-deutschen Geschichte der achtziger Jahre, die große Anerkennung erfuhr.

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der PDS-nahen Berliner Landesstiftung «Helle Panke» engagierte sich Detlef Nakath viele Jahre für geschichts- und gesellschaftspolitische Bildungsprojekte, so vor allem die «hefte zur ddr-geschichte», von denen weit über 100 Ausgaben interessierte Leser fanden. Detlef war Mitherausgeber, er verbürgte Themenvielfalt und wissenschaftliche Dignität.

Ein Wechsel des Wohnortes führte schließlich dazu, dass an die Stelle der «Hellen Panke» als neues Hauptbetätigungsfeld die in Potsdam ansässige Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg trat. Dort hatte er bereits 1997 mit dem «Außen- und Deutschlandpolitischen Kolloquium» eine Veranstaltungsreihe initiiert, welche die Diskurse über Zeitgeschichte und Geschichtspolitik reflektierte und danach strebte, auf sie Einfluss zu nehmen. Eine lange Reihe von Konferenzbänden dokumentiert alle einschlägigen Bemühungen. Es wurden die ersten Förderpreise für wissenschaftliche Talente und junge Publizisten verliehen, eine auch noch heute attraktive jährliche Tradition in Potsdam.

Detlef Nakath hat seit 2006 als Geschäftsführer ein Jahrzehnt lang mit Fortune und kühnen Ideen die Geschicke der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg geleitet und wird uns auch deshalb in bester Erinnerung bleiben.

Von 2014 bis 2019 bewegte er als Vorstandsmitglied der Bundesstiftung Rosa-Luxemburg noch so manches, denken wir an die gemeinsamen Geschichtsdebatten mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, oder an historische Projekte im Zusammenwirken mit den Stiftungsdependancen in Warschau, Moskau, Prag und Tel Aviv. Mit seinem Namen sind auch die Entstehung und das Gedeihen des Historischen Zentrums Demokratischer Sozialismus als neuer Stiftungsstruktur eng verbunden. Auch hier, wie in der Clara-Zetkin-Stiftung unter dem Dach der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der er bis zuletzt vorstand, hinterließ er kräftige Spuren.

Im Januar 2020 veröffentlichte der Karl Dietz Verlag noch einen Band, den er als Koautor zu Druck befördert hatte: «Ausschluss. Das Politbüro vor dem Parteigericht. Die Verfahren 1989/90 in Protokollen und Dokumenten». Er fand zunächst große Resonanz in den Medien, wurde dann allerdings wie so vieles durch die Corona-Pandemie überschattet.

Detlef arbeitete bis zuletzt an so erstaunlichen Projekten wie einer vierbändigen «Geschichte der deutschen Einheit aus linker Sicht», die in Beijing in chinesischer Sprache veröffentlicht wird. Als Herausgeber und Hauptautor des zweiten Bandes wird er das Erscheinen leider nicht mehr erleben.

Die Leibniz-Sozietät hatte die durch originelle Forschungsergebnisse und editorisches Können redlich erworbene wissenschaftliche Reputation unseres Freundes bereits 2004 hoch gewürdigt, indem sie ihn zum Mitglied erwählte.

Schließlich: Ohne die Liebe und Fürsorge, das Verständnis, die zupackende Art, das klare Urteil, die logistische Flankierung, die archivwissenschaftliche und die quellenkritische Expertise seiner lieben Monika ist das Werk von Detlef Nakath nicht zu denken.

Wir trauern mit ihr und der Familie um einen großartigen, aber bescheidenen Menschen, einen seriösen Wissenschaftler mit beeindruckenden Kenntnissen und Erfahrungen, einen Freund, den wir weder ersetzen können noch vergessen werden.

Es ist wohl so, dass wir als Menschen durch unsere kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen in der Erinnerung der Nachwelt überdauern. Sie werden unseren Nachfahren noch zugutekommen, wenn die ausbalancierten Gewinn- und Verlustrechnungen unserer Tage längst zu Staub geronnen sind.

Manfred Neuhaus / Gerd-Rüdiger Stephan