Abschied von Hans Rossmanit (2. August 1943 ̶ 21. April 2023)
von Manfred Neuhaus
„Die Zivilisation hat die Uhren und die Natur die Zeit“, notierte der Grafiker, Objektkünstler und Kunstpädagoge Hans Rossmanit.
Er war ein ganz besonderer Mensch, feinfühlig und liebenswert, verletzbar, voller Selbstzweifel und bis zu seinem Ableben Mitglied der Partei Die Linke. Mein Freund entstammte einer Familie antifaschistischer Widerstandskämpfer. Am 2. August 1943 als Kriegskind geboren, wuchs er, von Mutter Martha und Schwester Inge liebevoll umsorgt, im Leipziger Osten, im Bülow-Viertel am Torgauer Platz auf. Vater Hugo, von Beruf Dekorationsmaler, und Mutter Martha, eine Pelznäherin, waren seit den 1920er Jahren Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands. Mutiger Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft trug der Mutter eine einjährige Gefängnishaft ein, während der Vater wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer mehrjährigen Zuchthausstrafe verurteilt wurde.
Das antifaschistische Vermächtnis der Eltern hat Hans Rossmanit tief verinnerlicht. Es hat ihn ein Leben lang begleitet, Weltbild, Charakter und Mentalität geprägt.
Nach der Mittleren Reife erlernte Hans den Beruf des Monteurs für Betriebs-, Mess-, Steuer- und Regeltechnik. Als junger Facharbeiter sammelte er auf auswärtigen Großbaustellen Berufs- und Lebenserfahrung. Parallel zur Berufstätigkeit erwarb er an der Volkshochschule das Abitur.
Nach autodidaktischen Experimenten mit Ölfarben wirkte Vincente Minellis Filmepos über die tragische Existenz Vincent van Goghs auf Hans wie ein künstlerisches Erweckungserlebnis. Kirk Douglas verkörpert darin den niederländischen Maler, Anthony Quinn dessen zeitweiligen Freund Paul Gaugin. Die Welt, Leben und Werk der impressionistischen Meister werden fortan für die eigene Lebensauffassung bedeutsam. Für das 1966 begonnene Lehramtsstudium der Kunsterziehung und Geschichte an der Karl-Marx-Universität war es von beträchtlichem Nutzen, dass Hans Arbeitsalltag und Lebenswirklichkeit der DDR nicht nur aus den Schnupperkursen des Unterrichtstages in der Produktion, sondern aus eigener Berufspraxis kannte.
Betreut von Peter Schnürpel, einem Schüler von Karl Krug, Wolfgang Mattheuer und Bernhard Heisig, entstand als Examensarbeit ein der Heimatstadt gewidmeter Zyklus von Aquatinta-Radierungen. Nach einem mehrjährigen Intermezzo als Drehbuchautor und Ausstellungsgestalter beim größten Werbeunternehmen des Landes leitete Hans Rossmanit seit 1977 im Fachbereich Kunsterziehung, dem späteren Institut für Kunstpädagogik, die Druckwerkstatt und lehrte künstlerische Praxis. Die nahezu ideale Synthese von Lehre, künstlerisch-technischem und methodischem Experimentieren währte drei Jahrzehnte. Sie haben Hans sehr gefordert, aber auch viel Freude bereit und von Studierenden Sympathie und Anerkennung eingetragen. Bei nicht wenigen hat er eine bleibende Begeisterung für die Druckgrafik geweckt, und mit einigen von ihnen gab es noch viele Treffen und Briefkontakte. Sein Erfolgsgeheimnis pointierte Hans einmal folgendermaßen: „Apropos Kunstlehre, sie birgt die Behauptung der Lehrbarkeit! So stimmt es aber nicht, wenn, dann als einfühlende Begleitung, vergleichbar einem Katalysator in einem komplizierten und langwierigen Prozess mit ungewissem Ausgang.“
Mein Freund hielt es mit Bill Viola: „Kunst muss ein Bestandteil des alltäglichen Lebens sein, oder sie ist nicht der Rede wert.“ Sein künstlerisches Credo hat er 2009 anlässlich seiner großen Personalausstellung in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen anschaulich dargelegt. Der „Brief an Herrn K.“ beginnt mit dem verblüffenden Geständnis: Nach landläufigem Verständnis sei er gar kein Künstler, im Sinne von Joseph Beuys aber sehr wohl, und nun Hans Rossmanit wörtlich: „Denn Beuys meint mit seinem ,Jeder Mensch ist ein Künstler̒ nicht die Berufung zum Künstlerberuf, sondern das schöpferisch aktive Bekenntnis des Einzelnen zu seinen innewohnenden Stärken und Absichten.“ Er, H. R., sei ein Mensch, der mit künstlerischen Mitteln seine Weltsicht darstelle und gleichzeitig seine Probleme an der Welt abarbeite. Durch sein subjektives Guckloch beobachte er die Außenwelt, in der er aktiv sei, und werfe dann seine künstlerisch gebrochene, Bild gewordene Auswertung einem gebündelten Lichtstrahl gleich nach draußen. Hans Rossmanits Ideenvorrat schien grenzenlos, seine schöpferische Phantasie gebar ohne Unterlass Assemblagen, Collagen, Grafiken, Materialbilder und kinetische Objekte.
Nach der „wilden Wendezeit“, in der mein Freund politische Poster in Serie produzierte und vor Klaus Staeck das Bananen-Bockwurst-Gleichnis erfand, verschwand mit der DDR-Realität auch der Stoff, aus dem er seine Bilder geschaffen hatte. Als „ungelernter Bundesbürger“ versuchte er nun dies und das, äußerte sich allgemeiner und unverbindlicher. Er sei nicht zahnlos geworden, aber unbewusst zu der Einsicht gelangt, dass Kunst doch keine Waffe sei. Seine Staatsdistanz sei zwar mit verändertem Vorzeichen immer noch da, er habe sie aber künstlerisch noch nicht verinnerlicht.
Als 1991 unser berühmtester akademischer Lehrer, der antifaschistische Widerstandskämpfer Walter Markov, von den Nazis verfolgt und verurteilt wie Hugo Rossmanit, dazu aufrief, einen Verein zur Förderung einer Rosa-Luxemburg-Stiftung zu gründen, musste bei Hans Rossmanit niemand dreimal anklopfen. Er war sofort dabei und schuf, inspiriert von Rosa Luxemburgs Freiheitsmetapher, mit originellen Titelcollagen und experimenteller Typographie die ästhetische Anmutung der Stiftungspublikationen. Dessen nicht genug, engagierte er sich als Kurator selbstlos für Ausstellungen von Freunden und Kollegen und prägte mit seinen kinetischen Objekten und bildkünstlerischen Werken wie kein Zweiter Gesicht und Interieur der Stiftung. Wer die Stiftungsräume, ob in der Luxemburg-, der Sternwarten- oder der Harkortstraße betrat, fand sich in einer Dauerausstellung meines Freundes wieder.
Ob es Hans Rossmanit gelang, mit seinen bildkünstlerischen und literarischen Werken, seiner Briefkultur, den Gedichten, Metaphern, Prosatexten und Tagebuchcollagen Spuren im Gedächtnis der Nachgeborenen zu hinterlassen, wird die Zeit erweisen. Obwohl ich eher zum Pessimismus des Freundes neige, dürften die Aussichten so schlecht nicht
stehen.
Am 7. Juni nahmen die Angehörigen, Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen von Hans Rossmanit auf dem Südfriedhof Abschied.